Gedanken zum großen Frauentag

Lange Zeit hatte ich ein ambivalentes Bild von Maria. Heute sehe ich sie als Mutter, Beschützerin, Wegbegleiterin und Knotenlöserin.

In meiner Heimatpfarre Mauthen gibt es eine Maria Schnee Kapelle. Der wunderbarer Kraftort, thront über Mauthen. Die Verehrung der Muttergottes hat mir meine Oma ins Herz gebrannt. Bei der Prozession durften wir Kleider mit hellblauen Satinschleifen tragen, wenn wir in den erlesenen Kreis jener Mädchen kamen, die das Muttergottesbild tragen durften. Heute noch ist der 5. August, der Weihetag der Basilika Santa Maria Maggiore in Rom, auf die die Kapelle zurückgeht, eine Markierung in meinem Kirchenjahr. 

Bis Maria ein Frauenbild wurde, mit dem ich mich identifizieren konnte, bis ich sie aus ihrer Süßlichkeit und ihrem Muster an Reinheit und Demut herausschälen konnte, war spirituell-archäologische Arbeit vonnöten.

Meine Beziehung zu Maria war ein höchst ambivalente. Einerseits hat mir die Vorstellung der Schutzmantelmadonna, bei der ich Sicherheit finde, Mut gemacht. Wenn mich die Sorge über eine bzw. einen meiner Liebsten zu erdrücken drohte, hab ich sie bzw. ihn unter ihren Mantel gestellt und Zuversicht hat sich breitgemacht. Wenn sich an allen Fronten Unruhe breit machte, war mir die Knotenlöserin Zufluchtsort.

Andrerseits schien sie mir keine rechte Hilfe zu sein, denn die Tugenden von Jungfräulichkeit, Reinheit und Demut standen, wie ich dachte, im Widerspruch zu den Wirren, die ich als Frau, Partnerin, Mutter und Unternehmerin erlebte. So war es ein „Nicht-mit-dir-und-nicht-ohne-dich“-Verhältnis.

Maria, ein Mädchen aus Nazareth 2020

Als ich 2019 erstmals zur Kur ging, hab ich ein Buch eingepackt: Siehe, Deine Mutter von Regina Kummer. Allein die Tatsache, dass die Autorin vom Protestantismus zum katholischen Glauben konvertierte, hat mich aufhören lassen. Da sah ich die Chance auf ein ganz neues Marienbild.

Vorweg zitiert sie Martin Luther: Er war ein glühender Verehrer der Gottesmutter, aber er warnte vor Übertreibung in der Verehrung und die dadurch bedingte Schmälerung des Lobes Christi, dem Zentrum und Endziel christlicher Liebe, das durch Maria nicht verstellt werden dürfe“.

Ja, da stelle ich sie hin, meine Maria.

Die nächste Lektion lerne ich im Magnificat, dem Lobgesang Mariens. Da  heisst es unter anderem:

Meine Seele preist die Größe des Herrn ,
und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter,
denn auf die Niedrigkeit seiner Magd hat er geschaut.
Siehe, von nun an preisen mich selig alle Geschlechter!

Da sind sie wieder, die Oktaven des Frauseins, die ich immer suche: die Demut, das „Dein Wille geschehe“, das tiefe Vertrauen in Gottes Weg, trotz der ungeheuren Zumutung. Und dann schwingt sie sich auf zu höchsten Höhen, zur Königin, die von allen Geschlechtern selig gepriesen wird. Welche Bandbreite, wie viele Tonlagen, wie viel Potential!

Mut und Freude

„Da du alles als gottgegeben angenommen hast, kannst du dich auch über Deine Größe und Stärke ohne falschen Stolz unvoreingenommen freuen“.

Was heißt das für mich? Wenn ich die Weite meiner Persönlichkeit als Jesus, als Gott in mir annehmen kann, kann ich mich vorbehaltlos und in rechter Weise und Demut, dem Mut, zu dienen, daran erfreuen.  

„Wenn ich die Weite meiner Persönlichkeit als Jesus, als Gott in mir annehmen kann, kann ich mich vorbehaltlos und in rechter Weise und Demut, dem Mut, zu dienen, daran erfreuen.“

– Sissy Sonnleitner

Ich muss nicht prahlen, mit dem, was ich kann und bin. Ich muss mich aber auch nicht klein machen, nicht unterdrücken lassen, mich nicht selbst in den Schatten stellen. Ich darf mich vorbehaltlos erfreuen, an dem Geschenk der Gotteskindschaft, ich kann ohne Arroganz meine Identität leben. Um es mit Peter Altenberg zu sagen: “Sei die du bist, nicht mehr, nicht weniger, aber die sei!“

Maria – selbständig, kraftvoll, selbstbewusst, emanzipiert

In den Texten der vorhin erwähnten Regina Kummer habe ich wertvolle Erkenntnisse gewonnen: „Selbst deine Jungfräulichkeit kann man als positives Signal für die moderne Frau sehen. Nicht in der übertriebenen Idealisierung oder dem Aspekt der Reinheit, sondern aus der Perspektive der Selbstbestimmung. Nicht fremdbestimmt also, sondern Befreiung zu einem Wesen, das selbständig denken und handeln kann. Befreiung zu einer Frau, die sich nicht vom Mann her als den Sexualpartner definiert. Dein Fiat, Gott ganz, ist nicht nur Demut, sondern Selbständigkeit, Kraft und Selbstbewusstsein. Keine Spur von sich klein und gering machen.“

Die Falle für junge Frauen

Und jetzt der Sprung zu Julia Onken und ihrer alltäglichen Schizophenie: „Für viele Mädchen ist die Erotik der einzige Bereich, in dem sie erleben, etwas in Bewegung zu setzen oder gar zu beeinflussen. Für viele ist und bleibt es der einzige Bereich, in dem sie so etwas wie Macht erleben. Eine Operettendiva nannte die Formel: Bald muß man zahm sein, bald ganz infam sein. Auf diese Art behandle ich die Männer. 

Spielchen, die zwischen Unterwürfigkeit und Dominanz pendeln, vermitteln die Illusion, selbst handelnd zu sein. Wie sehr dieser Eindruck trügt, wird dann schmerzlich bewusst, wenn die Wirkung im Lauf der Jahre allmählich nachlässt oder auch von einer Minute zur anderen abbricht. 

Nur starke junge Mädchen tappen nicht ganz in die Falle, ihr Selbstbild ausschließlich mit ihrer Fähigkeit zur sexuellen Stimulierung zu koppeln, und in dem daraus resultierenden Konkurrenzkampf die Orientierung in die eigene Wahrnehmung zu verlieren. 

Viele Frauen verstricken sich in dem Widerspruch, sich einerseits selbst aufzugeben, um möglichst zu gefallen, und andrerseits dem verzweifelten Kampf, sie selbst zu sein. Und manche irren orientierungslos von einer Falle in die nächste, nach dem Motto: ich gefalle, also bin ich.“

Wer ist da freier, stärker, selbstbestimmter? Ja, Maria.

Klingt nach Schwarz-Weiß-Malerei, ich weiß. Aber sie sei erlaubt, um klare Bilder herauszuarbeiten und die Dinge auf den Punkt zu bringen.

Ein Friedensangebot der Kirche an die Frau

2018 hat Papst Franziskus den Pfingstmontag als kleines Friedensangebot der Kirche an die Frauen zum Festtag „Maria – Mutter der Kirche“ ernannt. 

Pfingsten ist der Beginn der Kirche. Maria wird meist inmitten der Apostel abgebildet, ist in der Nachfolge Jesus Christus gleichberechtigt. Zu Beginn.

Maria – Mutter der Kirche, verstehe ich als spätes „aggiornamento“ der Kirche, wie das zweite vatikanische Konzil die Öffnung, die Ver“heut“igung der Kirche nannte. Maria hat die gleiche Würde in der Nachfolge Jesus Christus. Maria Himmelfahrt  oder – wie es korrekt heißt – Mariens Aufnahme in den Himmel ist für mich das Symbol für die absolute Gleichwertigkeit der Frau in der Kirche.

So sehe ich sie, meine Maria. So kann ich aufschauen zu ihr, so ist sie mir Mutter, Beschützerin, Wegbegleiterin, Knotenlöserin. 

Am Ende der Kur las ich in meinem Lebensbuch: Die Knoten aus Schuld, Scham, Neid und Härte haben sich gelöst und die Fäden haben sich zu einem tragfähigen Geflecht aus Liebe, Lebensfreude und Dankbarkeit neu gewebt.

So kann ich Zeugnis ablegen über meinen Glauben und mein „Fiat – Gott ganz“ sagen.

Schreib mir  deine Gedanken ins Kommentarfeld oder per Email. Ich freue mich drauf!

Herzlichst

Sissy

LITERATUR

Regina Kummer
– Siehe, Deine Mutter

Julia Onken
– Herrin im eigenen Haus

Chagall Interpretation Kurt Sonnleitner, Foto© Sonnleitner

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2 Kommentare

  • Stefanie sagt:

    wow, den artikel muss man auch mal erst wirken lassen und sicher öfter lesen … aber ich kann schon mal echt viel positives – zumindest tiefen optimismus- mitnehmen. bussi

  • Sissy Sonnleitner sagt:

    Liebe Stefanie!
    Ja, der Artikel ist keine leichte Kost. Mich hat halt das Muttergottesbild, das mir in den 60iger Jahren übermittelt wurde, so niedergedrückt, so sehr eine Frau zweiter Wahl gemacht und doch hat mich die Mutter so angesprochen, dass ich nur durch einen Rundumschlag zu einem Bild gefunden habe, das mir jetzt richtig guttut. Da gibt es vermutlich so viele Sichtweisen, wie es Menschen gibt, die sich damit beschäftigen. Aber in vielen Lebensfragen geht es darum, dass wir gemeinsam neu formulieren, was für uns das Wesentliche ist. Danke für Deinen Beitrag!
    Herzlichst Mum

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