Prüfet alles, das Gute behaltet

Katholische oder tief religiöse Atheisten scheinen eine neue Glaubensgemeinschaft zu sein. Also Menschen, die im Grunde ihres Herzens einen Bezug zu Religion haben, religiös leben wollen, aber mit dem Gottesbild der Kirche nicht mehr zurechtkommen.

Eine spannende Statistik aus den Vereinigten Staaten zeigt einen anderen interessanten Trend: man sollte kein bekennender Atheist sein, wenn man sich zur Wahl stellt als Senator, oder Gouverneur oder Präsident. Umfragen zeigen, dass 95% der Wähler bereit sind, eine Frau zu wählen, 93% einen Katholiken, 90% einen Schwarzen, aber kaum 50% einen Atheisten.

Dennoch ist die Moderne wesentlich eine atheistische Kultur

Der Mythos des Christseins

Also hält sich in der Gesellschaft der Mythos des Christseins, als ein vertrauenswürdiges Lebenskonzept, trotz des Schrumpfens der gläubigen und aktiven Katholiken?

Bereits im letzten Blogartikel:“Rahmen vorhanden, suche Bild“, habe ich die Gedanken des belgischen Jesuiten Roger Lenaers aufgegriffen, der sich mit einem neuen Gottesbild in der Kirche beschäftigt und den „Gott-in-der-Höhe“ des Mittelalters, der richtend in den Kosmos eingreift, durch ein neues, größeres Gottesbild ersetzt.

Die Initialzündung eines neuen Gottesbildes hat Lenaers von dem evangelischen Theologen Dietrich Bonhoeffer, der am Ende Krieges von den Nazis erhängt wurde und der im Konzentrationslager ein Bild des modernen und ewigen Gottes gefunden hat, dessen Wesen ausströmende, sorgende, erbarmende, selbstlose Liebe ist.

Nun, wie kommen wir, mit Hilfe des Jesuiten, in der Kirche zu diesem neuen Bild?

„Als suchende Christin
habe ich nicht nur
das Recht,
sondern die Pflicht,
herauszufinden,
welchen Funken
ich zum göttlichen Feuerwerk
beitragen kann.“

– Sissy Sonnleitner

Ein neues Gottesbild

„Gehen wir davon aus, dass wir Menschen zu einem alles umfassenden Geheimnis gehören, das auch noch den Kosmos übersteigt und diesen Kosmos hervorbringt. Dieses Wissen ist Sache der Intuition, nicht mehr des Verstandes. Und diese Intuition wohnt jedem Menschen inne.“

Für mich ist es die göttliche Seele, die Essenz. Und je nachdem, wie weit sich der Mensch von seinem göttlichen Bauplan entfernt, umso hintergründiger, stiller und auch unverlässlicher wird seine Intuition.

Weiter schreibt Lenaers:“Es ist wie bei dem Gleichnis der ausgestreuten Samen in Matthäus 13,22, die nur unter guten Bedingungen aufgehen und Frucht bringen.

Aber die Intuition kann wieder vordergründig gemacht werden, wenn wir die Schöpfung nicht mehr als ein Produkt eines außerkosmischen Schöpfers sehen,sondern so, wie jedes Kunstwerk: den Selbstausdruck des Künstlers in Materie.

Und jede*r von uns ist ein*e Künstler*in. So können wir die Welt und darin unser Ich, unser kleines Selbst, als den Selbstausdruck des großen göttlichen Selbst erkennen.“

So verabschiedet Lenaers den „Gott-in-der-Höhe“ und bringt Gott in eine ganz andere Dimension, nämlich auf die Erde herunter.

Ich und du ein Selbstausdruck Gottes? Da passiert etwas ganz Spannendes: da bin ich plötzlich nicht mehr der/die kleine, bettelnde Sünder*in, da werde ich mit Verantwortung für mich, für mein Umfeld, für die Welt ausgestattet.

Da bin ich mit meinem Leben plötzlich wichtig, denn Gott übergibt mir das Staffelholz. Da besteht die große Aufgabe darin, mein Leben zu meinem Gebet zu machen, denn die Grundform des modernen Gebetes ist die Bejahung des göttlichen Wirkens in uns. Dann finde ich Gott nicht mehr außerhalb von mir, „im Himmel“, sondern auf dem Weg zu meiner göttlichen Seele.

Niemand hat die ultimative Wahrheit

Da gilt für mich nicht mehr nur die Wahrheit der Kirche, der Bibel, da bin ich aufgefordert, meine eigene Wahrheit zu suchen, meine Intuition immer wieder zu hinterfragen, ihr letztendlich aber auch mehr und mehr zu vertrauen, dass auch durch mich winzige Funken zu einem christlichen Sein einfließen können.

Gerade als Frau, als suchende Christin, musste ich lernen, dass auch ich geistgewirkt bin, und nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht habe, herauszufinden, welchen Funken ich zum christlichen Feuerwerk beisteuern kann.

Dazu schreibt Roger Lenaers: „Niemand in der Kirche hat die Wahrheit in exclusivem Besitz, sodass die anderen diese nur von ihm vernehmen könnten. Alle sind und bleiben wir Schüler des Geistes und nicht einer menschlichen Lehrinstanz.

Auch Jesus hat seiner Intuition mehr vertraut, als den überlieferten Vorschriften, was letztendlich auch zur Anklage führte.

Denn er aß mit so genannten Sündern und bekundete so seine Verbundenheit mit ihnen, oder er heilte auch am Sabbat, sprach mit der Samariterin und er unterließ die rituelle Händewaschung vor dem Essen. Er tat das nicht um zu provozieren, er tat es, weil das Feuer in ihm, die Urliebe Gottes ihn zum Wohl seiner Mitmenschen dazu drängte.“

„Nicht die Kirche
hat eine Mission,
sondern die Mission
hat eine Kirche.“

Prof. Dr. Clara Csiszar

Die Menschenliebe ist der Navigator

„So zeigt sich schon einigermaßen wie wir den Glauben, der ein Glaube an diesen Jesus beinhaltet, zeitgemäß leben sollen. Wir sollen uns nur von der vernünftigen Menschenliebe führen lassen. Von der Menschenliebe, nicht von Treue zu Traditionen und Vorschriften, aber auch nicht von Aggressivität gegen verdorrte Überlieferung und als schuldig gedeutete Blindheit, für die stets bis auf weiteres die Unschuldsvermutung gilt.“ Führt Lenaers weiter aus.

Die Bibel ist nicht „Wort des lebendigen Gottes“, wie das nach jeder Lesung kundgetan wird, sie ist Menschenwort und daher nicht unfehlbar und nicht unantastbar. Hat sie dann für uns keinen Mehrwert mehr?

„Doch!“ sagt Roger Lenaers. „Die Urliebe Gottes ist ja dynamisch, will sich stets deutlicher ausdrücken, im Kosmos und im Menschen. Bestimmte Menschen sind empfindlicher für dieses innere Drängen, spüren diese Inspiration in ihrer Tiefe dadurch deutlich. Z.B. die Propheten, die machtlos wüten konnten, weil Jahwe, die Urliebe, die nicht erträgt, dass die Menschenwürde mit Füßen getreten wird, als ein Feuer in ihnen brannte.

Aber ihre Worte, und das gilt für alle Worte der Bibelautoren, waren Menschenworte und daher zeit- und kulturgebunden, und dadurch vorläufig, anfechtbar, ab und zu sogar fehlerhaft und irreführend.

Dennoch enthalten sie in ihrem Kern die Selbstmitteilung Gottes. Nur ist es für Menschen der Moderne, die eine radikal andere Kultur ist als die biblische, vormoderne, oft schwierig, oft sogar unmöglich, diesen Kern noch zu erkennen, weil er in für uns unzugänglich gewordenen Vorstellungen und Formulierungen eingepackt ist. Man liest dann lauter Menschenworte. Aber oft ist es bei anderen Bibelstellen doch so, dass die göttliche Inspiration, diese Selbstmitteilung der Urliebe Gottes,  durch die Bibelworte hindurchleuchtet.“

Prüfet alles, das Gute behaltet

heißt es in 1 Tessalonicher 5,21-23. Das ist wohl die klarste Ansage im Umgang mit der Bibel und der Lehrmeinung der Kirche.

Wir leben in sehr unruhigen Zeiten, in denen wir erkennen müssen, dass es immer weniger lokale Katastrophen gibt, die weit weg sind, sondern dass es immer mehr globale Herausforderungen sind und es in der Tat nur einen Planeten gibt.

Immer mehr Menschen suchen instinktiv nach einer Rückverbindung mit dem Leben. Wir sehnen uns danach, zu spüren, dass wir angebunden sind, dass wir getragen sind, dass es eine Kraft gibt, die uns sieht, die uns führt, die uns liebt.

Die christliche Urliebe kann diesen Halt geben und das ist die Mission der Kirche. Die Theologin Prof. Dr. Clara Csiszar formulierte das so: „Nicht die Kirche hat eine Mission, sondern die Mission hat eine Kirche.“  Die Kirche ist sozusagen das weltweite Marketingnetzwerk der Frohen Botschaft.

Der synodale Weg, den Papst Franziskus eingeschlagen hat, ist ein Schritt in eine gute Richtung. Die Kirche alleine schafft die Wende nicht, jede*r Christ*in ist aufgefordert, das Feuer der Liebe zu entfachen.

Die Österreichische Theologin Prof. MMag. DDr. Theresia Heimerl sagt: „Wer bisher der Kirche treu geblieben ist, sollte bleiben, denn jetzt wird’s richtig spannend.“

Ich freu‘ mich drauf und bin dabei!

 

Herzlichst

Sissy

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