Pfingsten – die weibliche Lebenskraft Gottes

Pfingsten ist rot. Für mich ist es der Geist, der uns lebendig macht, der Feuer, Begeisterung, Leidenschaft in uns weckt. Heute ist diese Erkenntnis für mich ganz klar und leicht zu verstehen. Und doch – das Gewicht von Pfingsten habe ich in meinem Leben lange gesucht.

Warum ich so lange brauchte, habe ich inzwischen verstanden. Die Erkenntnisse, die ich auf diesem Weg für mich gefunden habe, konnte ich nur in kleinen Dosen verdauen. In dem Moment, in dem ich die Dimension (m)einer patriarchalen Religion in ihrem ganzen Umfang erkannte, hat sich freilich auch ein nicht mehr zu kittender Riss in meiner Beziehung zur Kirche aufgetan.

Die Büchse der Pandora

Pfingsten. Das war und ist für mich der Anfang. Ein heiliger Geist verwandelte die kleine Schar in Jerusalem von Zeuginnen und Zeugen der Auferstehung Jesus Christus in ein Glutnest und später in ein be-geist-erndes Feuer, das sich rasch über die Erde ausbreitete. Übrigens: Die ersten Zeuginnen der Auferstehung erhielten die Rollen von Statistinnen zugeschrieben.

Gott Vater, Gott Sohn, Gott Heiliger Geist – wenig erstaunlich, dass ich mir in meiner Kindheit Gott männlich vorstellte. Mein Bild von Religion an sich war männlich geprägt, denn die Religion stellte den Mann mit Macht, Wissen und Fähigkeiten über die Frau. Das tut sie in weiten Bereichen noch immer.

All das hielt ich für gegeben. Bis ich einer Darstellung der Dreifaltigkeit begegnete, die den Heiligen Geist als Frau abbildete. Die Büchse der Pandora stand mit einem Mal weit offen und meine Seele rief das Matriarchat aus: eine Gesellschaftsform, in der Frauen eine zentrale Stellung in Gesellschaft und Religion einnehmen.

Spurensuche

Veit Lindau hat mir eine Sichtweise eröffnet, mit der ich heute gut leben kann. Der Coach und Buchautor plädiert für eine Spiritualität, in der männliche und weibliche Anteile sich ergänzen.

Die Geschichte von Jesus Christus könne als historische Wahrheit verstanden werden oder als „der kollektive Traum unserer Archetypen“, so Lindau. Also der Traum vorgefertigter symbolischer, mythologischer Grundstrukturen unserer Psyche. Zugleich stehe Jesus als Symbol der Geschichte, des auferstehenden, über sich hinauswachsenden Logos, des männlichen Ur-Archetyps. „Die Kraft, die verstehen will, der Geist, der sich dem Licht entgegenstreckt, der die Materie überschreiten will.“

Lindau definiert diese Kraft als extrem wichtig, aber ohne die zweite Urkraft sei sie auf verlorenem Posten. Denn mindestens so wichtig, sei die weibliche Urkraft, Eros. „Die Kraft, die hält, die verbindet, die liebt, die trägt und immer wieder die Verbindung von allem sieht und erdet.“ Das männliche ohne das weibliche Element sei mangelhaft. Daher spricht er sich für eine Spiritualität aus, die die männlichen Qualitäten voll anerkennt und mit den weiblichen verbindet. „Der Logos sucht die Wahrheit am Horizont, Eros findet die Wahrheit hier und jetzt.“

Das Gesetz des Lebens

Auch ich bin überzeugt, dass ein gut funktionierendes System beides braucht. Das Männliche und  das Weibliche. Diese Überzeugung verträgt sich nicht mit patriarchalen Strukturen wie sie in den meisten Religionen zu finden sind. Strukturen, die Frauen abwerten, zurückdrängen, behindern und an ihrer Entfaltung hindern. Das beweisen unter anderem die erschütternden Missbrauchsskandale in den christlichen Kirchen, die erst in jüngster Zeit ans Licht gekommen sind. Weil Sexualität mit Scham und Sünde belegt und verdrängt wird, schleicht sie sich durch die Hintertür wieder ein. Heimlich, aggressiv und Macht missbrauchend.

Eine andere Konsequenz ist die Verdrängung der starken, weiblichen Kraft auf die als sündig bezeichnete Schattenseite. Denken wir nur an die Zeit, als dieser Eros als dunkle Magie gebrandmarkt wurde und Frauen als Hexen verfolgt wurden.

50 Prozent der Deutungshochheit unseres Glaubens stehen uns Frauen zu.

– Sissy Sonnleitner

Jesus war Feminist

Den Pfingstgeist verstehe ich als die weibliche Lebenskraft Gottes, eine blutrote Energie, die von männlicher und weiblicher Kraft im gegenseitigen Austausch geschaffen wird. Wenn LOGOS einen wachen, gesunden EROS an seiner Seite hat, der ihn hinterfragt, der ihn immer wieder an die Verbundenheit und Kostbarkeit allen Lebens hinweist, dann hat die Kirche Zukunft.

„Eine Kirche des Lebens, ein Raum, in dem Leben gefeiert wird“, wie es Veit Lindau so schön beschreibt, braucht beide Kräfte. „Die männlichen Kräfte, die den Horizont erobern wollen und das liebende, nährende Element, das neues Leben gebären und bewahren kann.“ Dann, und erst dann, ist der Heilige Geist die Seele der Kirche. Insofern stimme ich Lindau zu, wenn er in seiner radikalen Ehrlichkeit Jesus als Feminist bezeichnet.

Ich liebe meine Kirche

Der rote Geist des Eros hat die Mauern in meinem Kopf gesprengt. Umso schmerzlicher und unverständlicher empfinde ich die Machtstruktur in meiner Kirche. Denn ich liebe meine Kirche. 

Ein Sonntag ohne Messbesuch ist für mich kein Sonntag. Ein unvollständiger Sonntag. Da fehlt mir etwas Wesentliches: das Mysterium der Eucharistie, das mich noch immer in seinen Bann zieht. Keine fernöstliche Meditation bringt mich meiner Seele, meinem ICH BIN, wie ich es gerne beschreibe, näher.

Räucherstäbchen, Ohhm,… – mein Weg ist ein anderer. Nein, ich mache mich nicht darüber lustig, ich denke vielmehr, jede findet ihren eigenen Weg. Ich bin katholisch geprägt: der stille Raum, das viele Gold als Materie gewordenes Licht der Auferstehung, die Orgel, der Weihrauch, die Kerzen – die Rituale zum Eintauchen sind alle da. Dann das Wort Gottes in einer guten Auslegung und mein Glaube, dass in der Wandlung durch den Heiligen Geist aus Brot und Wein, Fleisch und Blut Christi wird, von dem in der Kommunion  Geist, Körper und Seele Kraft schöpfen. Das alles ist der tiefe Anker in meinem Leben.

Die Freiheit, die ich mir nehme

Ich brauche meine Kirche. Die 50prozentige Deutungshochheit unseres Glaubens gestehe ich den Männern auch in der Kirche zu. Viele meiner spirituellen Begleiter sind und waren Männer, ein ganz bedeutender davon war mein Mann. Aber: Die anderen 50 Prozent der Deutungshochheit meines Glaubens stehen uns Frauen zu. Ich persönlich habe durch diese Erkenntnis Leidenschaft, Zuversicht, Begeisterung gewonnen. Sie finde ich erst, seit ich die patriarchalen Fesseln abgelegt habe. 

„Wir modernen Frauen in der westlichen Welt sind mit unserem Bedürfnis nach Respekt, vertrauensvoller Nähe und einer erfüllenden Sexualität in der Geschichte der Menschheit so jung, wie die Raumfahrt“, schreibt die von mir sehr geschätzte Eva Maria Zurhorst. „Aber wir sind auch so unerfahren mit der ungestörten Entdeckung unserer Bedürfnisse, unseres Körpers, wie die Astronauten mit der Schwerelosigkeit.“

Also dürfen und müssen wir weiterforschen – voll Feuer, Leidenschaft, tiefrotem Engagement und beseelt vom Pfingstgeist.

Tanz der Gewalten

die Geistin drängt ins Weite
ihr Wesen belebt die Wüste
ihre Dynamik macht lebendig
ihre Helligkeit erleuchtet das Dunkel
feenhaft lässt sich sich treiben
von einer größeren Dimension
die sie geschaffen
durchbricht
scheinbar Vorherbestimmtes
setzt neue Massstäbe
im Tanz
der Gewalten
von ihr
lass ich mich begeistern
gestalte tanzend mein Leben
mit allen,
die sich von ihr
führen und leiten lassen
alle, alles tanzen
nach ihrer Melodie 

– Heidrun Bauer SDS

Ich wünsche dir ein leuchtend rotes, be“geist“ertes Pfingsten.

Wenn du deine eigenen Gedanken mit mir teilst, freue ich mich. Entweder im Kommentarfeld am Ende dieser Seite oder an info@liebeschafftalles.at

Herzlichst
Sissy Sonnleitner

LINKS UND LITERATUR

Veit Lindau, „sacred heart“ auf homodea.com

Eva-Maria Zurhorst, Soulsex: Mit Lust die Liebe neu entdecken

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2 Kommentare

  • LamSi sagt:

    Tatsächlich habe ich mich vor vielen Jahren von der Kirche abgewandt, bezeichne mich als Agnostikerin. Nun horche ich aber kurz auf. Wäre das denn vielleicht möglich? Religion leben, glauben dürfen ohne sich die Erniedrigung überstülpen zu müssen und sich in ein Frauenbild zu fügen, das man als unwürdig erachtet? Geht das denn? Ein kleiner freudiger Gedanke bleibt mir im Hinterkopf und wartet schelmisch, ob da noch etwas kommt…

    • Sissy Sonnleitner sagt:

      Liebe LamSi!
      Du hast mir ein wunderbares Geburtstagsgeschenk gemacht, wenn es mir gelungen ist, das Übergestülpte
      ein wenig zu lüften. Ja, ich glaube und erfreue mich daran, auch in meiner religiösen Lebenshaltung den
      Weg zu den oberen Oktaven freigemacht zu haben. Da ist so viel Luft nach oben. Das Frauenbild ist ja nicht
      nur von der Kirche gemacht, die Generationen vor uns haben es ja auch erfüllt. Wir können und müssen es,
      ganz ohne Revolution, verändern, indem wir mit dem Herzen schauen und hören, wie wir in unsere ganz in-
      dividuelle Kraft kommen, welchen Platz wir einnehmen möchten, welche Verantwortung wir übernehmen
      möchten ……Dann können wir auch in der Religion erkennen “ zu welcher Hoffnung“ wir berufen sind.
      Denn Liebe schafft alles! Herzlichst
      Sissy

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