Wie ich der Angst begegne

Corona. Eine Zeit der Unsicherheit, der Entscheidungen. Eine Zeit, die unsere Ängste nach oben spült. Zugleich empfinde ich die Zeit, in der wir jetzt leben, als eine gewichtige Phase, weil sie uns zwingt, unsere Ängste anzusehen, damit wir mutig weitergehen können.

In den unsicheren Phasen meines Lebens, als alle Lebensbereiche – Familie, Partnerschaft, Betrieb – ordentlich durchgeschüttelt wurden, wollte ich mir manchmal gar nicht eingestehen, dass ich Angst hatte. Stattdessen erhöhte ich einfach Beruhigungsmechanismen – essen, arbeiten, Sport, Fernsehen… All diese Aktivitäten lösten zwar kein Wohlgefühl aus, doch sie verhinderten, dass meine Angst hochkommen konnte.

Sobald die Spannung aber nur ein bisschen nachließ, war sie da. Die Angst. Das Adrenalin  schwoll an und stieg vom Bauch hoch, bis es mich vollkommen überschwemmt hatte und von mir nicht als ein Häuflein Elend übrigblieb. Manchmal machte mir die Angst mit ihrem mörderischen Kopfkino zu schaffen. Vielleicht kennst auch du dieses Gefühl, wenn deine Gedanken völlig unkontrolliert davon galoppieren und zu bestehenden Ängsten immer neue, völlig unrealistische Ängste gebären. Ein quälender Zustand.

Mit den Jahren hat die Angst hat mich gelehrt, genauer gesagt, geradezu gezwungen, sie anzuschauen.  

Heute begegnet sie mir noch immer. Aber ich begegne ihr anders. Ich nehme sie zur Kenntnis, ich schaue ihr in die Augen, ich analysiere und stelle Fragen: Welche Bedrohung ist tatsächlich da? Und welche Gefahr ist fast ausschließlich meiner Phantasie geschuldet?

Die Angst an die Hand nehmen

In dem japanischen Märchen „Der Kragen des Bären“ erfährt eine junge Frau von einer Heilerin, wie sie Zugang zu ihrem schwer traumatisierten, von Wut und Zorn zerfressenen Mann finden kann. Sie solle ein schneeweißes Haar vom Kragen des schwarzen Bären suchen. Die junge Frau will sich auf die Reise machen, packt Futter für den Bären ein und besteigt den steilen Berg. Bei allem, was ihr unterwegs begegnet, bedankt sie sich – beim Berg, beim Wind, bei den Bäumen, auch beim Schnee, der ihr die Spur des Bären zeigt.

Immer steiler wird der Weg, Disteln und Dornbüsche verfangen sich im Saum ihres Kimonos, zerren an ihr und machen ihr das Weiterkommen schwer. Bei Einbruch der Dunkelheit fliegen dunkle Vögel  aus den Niederungen auf und umkreisen den Kopf der verängstigten Frau. Sie erkennt die Geister der rastlosen Toten und geht weiter. Die spitzen Felsen zerkratzen ihre Hände, sie aber geht unbeirrt weiter.

Als die Frau die Höhle des Bären reicht, stellt sie eine Futterration hin und wartet in sicherer Entfernung. Zu Tode erschrocken sieht sie, wie er das Futter verschlingt. Noch zweimal lockt sie ihn mit dem Futter aus der Höhle und jedes Mal wagt sie sich ein Stück näher. Beim dritten Mal entdeckt sie der Bär, richtet sich vor ihr in seiner ganzen Größe auf und holt mit seiner gewaltigen Pranke aus. Die Frau bleibt zitternd, aber mutig stehen, sieht ihm in die Augen, stammelt ihren Wunsch und bittet ihn, ihr zu helfen. Sie habe ihn doch gefüttert und würde auch gleich wieder verschwinden.

Missmutig willigt der Bär ein und die junge Frau zupft ein weißes Haar aus seinem Kragen. Voll Freude läuft sie zur Heilerin zurück und dankt unterwegs wieder allen, denen sie begegnet. Schließlich übergibt sie der weisen Frau das Haar. Was aber tut diese? Sie prüft es und wirft es ins Feuer.

„ Warum tust du mir das an? Weißt du nicht, welche Mühen ich auf mich genommen habe?“, klagt die junge Frau.  „Erinnerst Du Dich an jeden Schritt, während Du den Berg erklommen hast? Weißt du, was du gesagt hast, um den Bären zu besänftigen? Was du gefühlt, gesehen, gehört, erkannt hast?“, lautet die Antwort. „Das werde ich nie vergessen“, bedankt sich die Junge. „Dann gehe zurück zu deinem Mann, denn du weißt, was du tun musst“.

5 Lehren der Wolfsfrau

Dieses wunderbare Märchen, das Clarissa Pinkola Estés in der Wolfsfrau erzählt, zeigt dir, wie du deiner Angst begegnen kannst.

  • Du schaust die Angst von allen Seiten an und nimmst sie ernst.
  • Du holst dir Hilfe, wenn du spürst, dass du Hilfe brauchst.
  • Du fasst einen Plan, wie du den steilen Berg besteigst, das unbekannte psychische Territorium.
  • Du zeigst deine Dankbarkeit.
  • Du marschierst mit der Angst an der Hand in Richtung Vertrauen los.

Wie in der Geschichte der Wolfsfrau werden auch deine bisherigen Erfahrungen dich immer wieder wie Disteln und Dornen zurückziehen. Destruktive Gedanken werden dich quälen – die dunklen Vögeln – und wirst dich liebevoll von ihnen verabschieden. Du beschwörst die Kraft der verständnisvollen Nächstenliebe in dir herauf – wie die junge Frau, die den Bären, täglich füttert und im Gegenzug Liebe erfährt. Du bleibst im Feuer stehen und bittest mutig um Hilfe.

„Meine Erfahrung sagt mir, dass Selbstliebende leichter in die Ungewissheit gehen. 

Ich empfinde die Zeit, in der wir jetzt leben, als eine gewichtige Phase. Als eine Zeit, in der wir Entscheidungen treffen müssen. Die Beruhigungsmechanismen wie shoppen, fernsehen, tratschen etc. helfen uns nicht mehr. Ich wünsche mir, dass viele Frauen jetzt den Sprung ins Ungewisse wagen, dass wir einander Mut machen, authentisch zu werden, zu uns zu stehen, zu einer starken Selbstliebe zu kommen und gleichsam „rot zu tragen“. Denn meine Erfahrung sagt mir, dass Selbstliebende leichter in die Ungewissheit gehen.

Du bist nicht allein

Liebe und Angst liegen sehr nahe zusammen. In der Mitte von beidem liegt das Vertrauen. Je größer das Vertrauen, umso geringer die Angst. Öffnen wir uns einander, vertrauen wir einander, nehmen wir uns an die Hand und wagen den großen Sprung, denn mit zwei kleinen Schritten können wir den Abgrund nicht überspringen.

Angst ist meiner Ansicht nach ein wichtiger Schutz. Wir dürfen sie nur nicht über Mut, Geschicklichkeit und Intelligenz dominieren lassen. Mut ist nicht das Freisein von Angst, sondern die Erkenntnis, dass etwas wichtiger ist als die Angst. Wenn dein Kopf frei von Angst und dein Herz voll von Liebe ist, wirst du Veränderung schaffen und Lösungen finden.

Schreibe mir, was Du Dir von Liebe schafft alles erwartest. Webe mit an dem Teppich der weiblichen Sehnsucht. Wir brauchen auch deinen Faden!

In Liebe

Sissy Sonnleitner

liebe schafft alles ©a.weninger

Zukunft

verborgen im Dunkel
liegst Du vor mir
sehnsuchtsvoll erwarte ich Dein Kommen
sehnsuchtsvoll
wag ich mich vor
Schritt
für
Schritt
die Angst im Nacken
Angst vor wem?
Angst wovor?
ich kenn mich nicht
bin nicht
zu Haus in mir
fühl mich nicht wohl
keiner kann’s mir sagen
keiner soll’ s mir sagen
will es selbst ergründen
….und Du mein Gott
wirst bei mir sein

Heidrun Bauer SDS, Salvatorianerin

LITERATUR

Clarissa Pinkola Estés, Die Wolfsfrau. Die Kraft der weiblichen Urinstinkte

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2 Kommentare

  • Mia sagt:

    Das Thema „Angst“ bewegt mich sehr und ich finde mich in den Worten wieder und finde sie sehr schön, doch ist die Anwendung dieser Kunst und Ratschläge erst mit entsprechendem Bewusstsein und Achtsamkeit möglich.
    Ich wünsch mir von „Liebe schafft alles“ einen Beitrag zur Beibehaltung einer (selbst-)liebenden Achtsamkeit im Alltagswahnsinn des Berufslebens.

  • Sissy Sonnleitner sagt:

    Liebe Mia!
    Ich freue mich, dass das Thema Angst Dich berührt hat und Du die Worte ( trotzdem ) schön findest. Du hast „Liebe schafft alles“ die Latte hochgelegt und in der Tat wollen wir mit möglichst vielen
    Frauen gemeinsam einen breiten Pfad zur selbstliebenden Achtsamkeit legen. Ich weiß, wie schnell man den Pfad im Alltagswahnsinn des Berufslebens wieder vergisst oder verlässt. Aber deshalb
    bringen wir ca. alle 10 Tage einen Impuls, der das Pflänzchen „selbstliebende Achtsamkeit“ hoffentlich zu einem richtig kräftigen Baum werden lässt. Ich hab‘ Deine Latte vor Augen! Alles Liebe
    Sissy

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