Wie ich meine Arbeit lieben lernte

„Widme Dich dem Kochen und der Liebe mit ganzem Herzen“, empfiehlt der Dalai Lama. Klingt einfacher als es der fordernde Alltag in einem Haubenlokal erlaubt. Meine Strategie? Ich gewöhnte es mir an, Fragen zu stellen. Unangenehme, aber notwendige Fragen, um meine eigenen Antworten zu finden. 

„Love it, change it, or leave it – liebe es, verändere es oder verlasse es“. Ist es wirklich so einfach? Nein, aber die Formel beschreibt meiner Erfahrung nach ganz gut, worauf es ankommt, wenn du eine klare Strategie für dein Handeln suchst.

Deine Arbeit zu lieben, ist ein Geschenk, das dir helfen kann, langweilige Routinen oder schwere Etappen zu meistern. Mir ist das Geschenk nicht zugefallen. Ich habe aus vorauseilendem Gehorsam den elterlichen Betrieb übernommen, nachdem meine drei älteren Schwestern geheiratet hatten und ihrer Wege gegangen waren.

Change it!

Ich war eine lustlose Jugendliche. „Null Bock-Kids“ kannte man in den 1960ern noch nicht, für mich hätte die Bezeichnung aber absolut gepasst. Damals wusste ich nur, was ich nicht wollte. Wirtin werden. Der Rest ist bekannt.

Als ich 17 war, trat die Liebe in mein Leben. Im Gepäck hatte sie das Geschenk: die Leidenschaft fürs Kochen. 

Von der Arbeit

Ihr arbeitet, um mit der Erde und der Seele der Erde Schritt zu halten.
Wenn ihr arbeitet, seid ihr eine Flöte,
durch deren Herz sich das Flüstern der Stunden in Musik verwandelt.
Alle Arbeit ist leer, wenn die Liebe fehlt. Und was heißt mit Liebe arbeiten?

Es heißt, das Tuch mit Fäden weben,
die aus Eurem Herzen gezogen sind,
als solle Euer Geliebter dieses Tuch tragen.

Es heißt, ein Haus mit Zuneigung bauen,
als solle Euer Geliebter in dem Haus wohnen.
Es heißt, den Samen mit Zärtlichkeit säen
und die Ernte mit Freude einbringen,
als solle euer Geliebter die Frucht essen .

Es heißt, allen Dingen, die ihr macht,
einen Hauch eures Geistes einflößen und zu wissen,
dass die selig Verstorbenen um euch stehen und euch zusehen.

– Khalil Gibran

Wenn ich Khalil Gibrans Zitat vom Arbeiten aufs Kochen ummünze, ist Kochen sichtbar gemachte Liebe. Mit Liebe, Geduld, Konzentration, Andacht und Hingabe lernen wir, der Schöpfung für Wachstum und Fruchtbarkeit der Erde zu danken, und wir bleiben den Elementen Feuer, Wasser, Luft und Erde nahe. Wenn ich mich mit ihnen umgebe, spüre ich wie meine Seele pulsiert.

Zwei Schlüssel

Der erste Schlüssel, den wir brauchen, um in unserer Arbeit Sinn zu finden, heißt Qualität. Die Arbeit muss gut gemacht sein, so vollkommen wie möglich. Das ist für mich eine Form der Demut.

Der zweite Schlüssel ist die Absicht. Was ich damit meine, will ich dir am Beispiel der Kinderbegleitung verständlich machen: Mit der Absicht, deine Kinder gut zu begleiten, verschwindet der Aspekt der mühevollen Arbeit. Es ist vielmehr der Dienst an den Kindern, der für dich zählt, und damit Dienst an Gott. So gewinnt diese Arbeit Bedeutung über sich selbst hinaus.

Wie unterschiedlich ein und dieselbe Tätigkeit gesehen werden kann, zeigt das Beispiel zweier Maurer. Auf die Frage, was sie machen, antwortet der erste: „Du siehst doch, wir stellen eine Mauer auf.“ Der zweite hat strahlende Augen und lächelt stolz: „Wir bauen eine Kathedrale.“

Die Welt verwandeln

Arbeit als Dienst ist meiner Ansicht nach edler als Arbeit zum Zweck des reinen Gelderwerbs. Natürlich muss die Kasse stimmen. Der Unterschied liegt in der Motivation: Wie bewahre ich mir die Hingabe über Jahre, Jahrzehnte, ein Leben lang? Wie schaffe ich es, immer wieder dasselbe zu tun, ohne mich zu langweilen oder mich über die Mühseligkeit der Arbeit zu ärgern.

Es ist dieses „mich verwandelt haben“,
während ich zwischen meinen Überhebungen und Nöten
Spießruten gelaufen bin, die für mich interessanteste
Leistung meines Lebens.

André Heller 

Mit den Jahren habe ich erfahren, dass jede Arbeit geheiligt werden und die Welt verwandeln kann. Die Familie, das Kochen und meine Aufgabe als Gastgeberin waren nützliche Werkzeuge, dies zu erkennen und die Erkenntnis umzusetzen. Mir wurde klar, dass ich mit Herz und Seele an dem Platz sein muss, den ich mir erwählt habe. So sah ich es mehr und mehr als meine Aufgabe, ja Verpflichtung, meine Talente so gut wie möglich einzusetzen. So diene ich dem weiblichen Antlitz Gottes. 

Die Liebe zu meiner Arbeit wuchs wie in einer arrangierten Ehe. Nach und nach wurde die Zuneigung stärker und hinterließ Spuren: Im Gail-, Gitsch- und Lesachtal und am Weißensee entstand die weltweit erste Slow food travel-Region. Eine Entwicklung, die nachweislich auf unserer Arbeit wurzelt. Und so wurde aus der Schneise, die wir für bewussten Umgang mit dem reichen Warenkorb unserer Heimat geschlagen haben, ein Weg, auf dem heute viele Menschen unterwegs sind.

Ob etwas Leben werden kann, hängt nicht von den großen Ideen ab,
sondern davon, ob man sich aus ihnen ein Handwerk schafft,
ein Tägliches, etwas, das bei uns aushält bis ans Ende.

Rainer Maria Rilke

Arbeitszeit und Lebenszeit

Die große Herausforderung ist es, wie ich selbst erfahren habe, aus Arbeitszeit Lebenszeit zu machen. Also jene Zeit, die für dich Sinn macht, weil du dich einbringen kann, weil du deine Liebe trainieren kannst. Das ist nicht an jedem Arbeitsplatz möglich. Dennoch lohnt es sich meiner Ansicht nach, immer wieder Fragen zu stellen, um die Richtung nicht aus den Augen zu verlieren. Dabei geht es nicht immer darum, die Arbeit zu verändern, sondern oft darum, wie du die Einstellung zu deiner Arbeit verändern kannst.

Auf www.zeitzuleben.de habe ich Fragen gefunden, die dir dabei helfen sollen, deine eigenen Antworten zu finden.

Verändern…

  • Will ich meine Arbeit verlassen?
  • Wie kann ich dafür sorgen, unerwünschten Situationen nicht mehr zu begegnen?
  • Was ist der Preis für meinen Mut und bin ich bereit, ihn zu zahlen?
  • Was sind die Risiken und wie kann ich sie vermeiden oder abfedern?
  • Wann will ich mich rausziehen und welche Schritte sind dafür notwendig?

…oder lieben?

  • Was würde mir fehlen, wenn ich jetzt gehe?
  • Wofür kann ich hier auch dankbar sein?
  • Wie kann ich meine Arbeit als Lernerfahrung nutzen und daran wachsen?
  • Wie kann ich lernen, Situationen weniger ernst zu nehmen?
  • Kann ich ein Spiel daraus machen?
  • Wie kann ich es mir erträglicher machen?

Und weil sie gut zum Thema passen, noch ein paar Gedanken von Veit Lindau: „Schau Dir Deine Arbeitstage an: Konntest Du achtsam von innen nach außen leben oder hat das Außen Deinen Tag bestimmt? Konntest Du Dich frei und authentisch ausdrücken oder hast Du hauptsächlich auf Erwartungen und Verpflichtungen seitens Deiner Umwelt reagiert?

Ich bin mir klar, dass diese Fragen in manchen Ohren utopisch klingen. Die meisten Menschen stehen unter einem immensen Dauerdruck, derartige Überlegungen können sie nur als realitätsfern abtun. Das kollektive Hamsterrad hat so wahnwitzige Schwungkraft entwickelt, dass wir gar nicht mehr dazu kommen, seinen Sinn grundsätzlich zu hinterfragen. Dient unsere gemeinsame Anstrengung wirklich dem Wohlergehen des Menschen oder bedienen wir ein selbstgeschaffenes Monster der Geschäftigkeit?“

Corona hat das Hamsterrad von einem auf den anderen Tag eingebremst. Wir alle haben Zeit, essentielle Fragen zu stellen. Ich wünsche mir, dass viele Menschen den Wert einer guten Arbeit wieder mehr schätzen lernen, denn die Erhaltung des Selbstwerts ist ohne Arbeit deutlich schwieriger.

Von den wunderbaren Illustrationen, die Anna Weninger für meinen Blog gezeichnet hat, habe ich heute die Wunderknolle Ingwer gewählt. Sie wirkt in vielerlei Hinsicht positiv und hebt die Stimmung.

Herzlichst

Sissy

LITERATUR

Khalil Gibran
– Der Prophet

Veit Lindau
– Heirate dich selbst: Wie radikale Selbstliebe unser Leben revolutioniert

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