Und was fühlst du?

Wenn ich mich über andere ärgere, mich klein fühle, sagt mir das mehr über mich selbst als über den Menschen, der dieses Gefühl in mir auslöst. Das hat mir der „Arsch-Engel“, wie Robert Betz ihn nennt, klar gemacht. Seit ich ihn kenne, ist er mein Lieblingsbegleiter und zugleich die größte Nervensäge.

Du kennst sie sicher, die immer wiederkehrenden Begegnungen mit Menschen, deren Anblick dir bereits den Adrenalinspiegel in die Höhe treibt, die ein sicheres Händchen für deine Schwachstellen haben und in deren Gegenwart du dich immer ein minderwertiger fühlst. Noch Stunden danach bist du mit der Begegnung beschäftigt, weißt, wie du reagieren können hättest, fallen dir die die Worte ein, die du zurückschmettern können hättest, und Formulierungen, mit denen du dich abgegrenzt hättest.

„Für unsere Weiterentwicklung brauchen wir offensichtlich Menschen, die uns die sogenannten Gefühlsknöpfe drücken, die uns bewusst machen, wo wir nicht zu uns selbst stehen, wo wir uns verbiegen“, merkt Robert Betz  dazu an. Wenn man die Botschaft des Arsches verstanden hat, fällt er ab und der Engel bleibt übrig.“

So einfach soll das funktionieren. Wirklich? Ich denke, um diese Antwort zu verstehen und zu akzeptieren, müssen wir uns die Situation genauer ansehen. 

Ein Beispiel gefällig? Du hast eine Freundin, mit der dich eine „Warm-Kalt-Beziehung“ verbindet. Du hast den Eindruck, dass sie dich nur kontaktiert, wenn sie dich braucht. Es scheint so, als stünde unsichtbar auf deiner Stirn geschrieben: „Behandle mich ruhig schlecht, ich tue es ja auch.“ Bis dich der besagte „Arsch-Engel“ aufweckt: „Solange du nicht lernst, für dich einzustehen, und mir deine Ansprüche an unsere Freundschaft nicht kundtust, gibst du mir das Recht, dich schlecht zu behandeln“

Hineinspüren

Freilich, das erfordert Mut. Aber gleichzeitig machst du dir eine kleine Liebeserklärung an dich selbst. 

Ich habe es probiert und die Erfahrung gemacht, dass allein der Gedanke „So ein „Arsch-Engel“ zum Ventil für meinen Ärger geworden ist und mich zum Lächeln bringt. Zwei Worte, die mein Gegenüber ein bisschen kleiner und menschlicher erscheinen lassen.

Vielleicht hast du auch einen Mitarbeiter oder eine Kollegin, die dich regelmäßig zur Weißglut bringen. Überlege und spüre nach, welches Gefühl sie in dir auslösen. 

  • Ist es Eifersucht? Zorn? Respektlosigkeit? 
  • Was kannst oder musst du tun, um mit dir in Frieden zu kommen? 
  • Wo stehst du nicht zu dir und deinen Stärken und Schwächen? 
  • Woher rührt der Zorn, der endlich ans Tageslicht soll? 
  • Wie zeigt sich, dass du deine Bedürfnisse nicht respektierst? 

Mir sind in meiner Laufbahn als Chefin unzählige „Arsch-Engel“ untergekommen und fast alle haben mir die gleiche Botschaft überbracht: „Hab Mut zur Führung!“.

Gefühle zeigen 

Bis in die 80iger Jahre gab es für Kinder wenig Gefühlskultur. Wir lernten nicht, wie wir mit unseren Emotionen umgehen sollten. Welche Rolle Ärger, Wut, Zorn, Ohnmacht, Hilflosigkeit, Scham, Schuld und Trauer in unserem Leben spielen darf und wozu sie gut sind. Wut wurde mir regelrecht aberzogen und Burschen durften sowieso keinen Schmerz zeigen. Diese und andere Beispiele kennst du sicher. 

Auch Robert Betz erinnert an diesen weißen Fleck in der Erziehung vieler Menschen: „Kannst Du Dich erinnern, wie es sich anfühlte, wenn man als Kind zur Ruhe gezwungen wurde, obwohl man gerade in seinem Element war? Wie wenig wir von Lehrern in unserer

Persönlichkeit unterstützt wurden? All das hat das Gefühl von Scham und Schuld in uns hinterlassen, den Eindruck, so wie ich bin, bin ich nicht liebenswürdig und das sind die Punkte, die uns heute zwingen, genau hinzuschauen. 

Unsere Generation wurde nicht angehalten, auf das Herz zu hören und Nein zu sagen. Wir haben gefühlt, was für uns stimmig wäre, hatten aber nicht das gleiche Stimmrecht wie die Erwachsenen. Wir mussten weitgehend nach den Erwartungen anderer leben.“ 

Ich glaube, dass diese Zeit, die wir jetzt erleben, unseren ehrlichen Einsatz, unseren offenen Umgang mit uns und mit anderen fordert.

– Sissy Sonnleitner

Zum Glück haben sich die Erkenntnisse der Wissenschaft mittlerweile herumgesprochen, die die Bedeutung von Bauchhirn und Gefühlen für unser Befinden und die Kommunikation deutlich machen. 

Wenn du lernen willst, mit deinen Gefühlen besser umzugehen, hilft dir der „Arsch-Engel“. 

  • Er fordert dich auf, genau hinzuschauen. 
  • Er löst ein Gefühl in dir aus, er verursacht das Gefühl aber nicht, denn die Ursache liegt in der Vergangenheit und damit hast du mehr zu tun, als er. 
  • Er fungiert vielmehr als Hinweis und zeigt etwas, was du auch sein möchtest, aber nicht bist, ignorierst, verdrängst – das muss ein anderer für dich tun. 
  • Er berührt etwas, das in dir ist, du aber nicht anschauen willst. 

Tröstlich ist, dass auch wir selbst „Arsch-Engel“ für andere sind. Für die Partnerschaft möchte ich den Begriff nicht so gerne verwenden, weil ich ihn für diese besondere Form der Beziehung als etwas respektlos empfinde. Das Prinzip ist aber das gleiche: Wir erkennen uns im anderen.

Mein Ehemann Kurt, mit dem ich 41 Jahre lang verheiratet war, ist 2017 verstorben. Ich schau dankbar auf die gemeinsame Zeit zurück. Wir haben einander gut getan. Das hat uns als Einzelpersonen nicht immer gut getan. Auch das sehe ich heute klarer. 

Der Schatz in dir

„Der Unfrieden, der in uns ist, will beachtet werden, denn darunter liegt ein Schatz“, macht Robert Betz Mut, genauer hinzusehen. „Die Arschengel meinen dich nicht persönlich, sie meinen entweder sich oder einen anderen.“

Wie du deine Gefühlen besser wahrnimmst und sie bejahst? Auch darüber hat sich Betz Gedanken gemacht. Seine Empfehlungen und Fragen an dich selbst, gebe ich dir gerne weiter.

Ja zu deinen Gefühlen

  1. Das Gefühl, das er auslöst, war schon lange in dir und du hast viel getan, um es zu verdrängen. Wegtrinken, wegessen, wegshoppen, wegarbeiten,….aber die Natur will Ordnung, Frieden und Ausgleich und macht dich mittels des „Arsch-Engel“ immer wieder darauf aufmerksam. 
  2. Wenn du das Gefühl hast, nicht zu genügen, triffst du einen Partner mit demselben Gefühl. Also schau hin! Wir erkennen uns im anderen.
  3. Frag dich: Was ist der Sinn, dein wirkliches Motiv zu leben, all das zu tun? Tu es mit Liebe, und sei sicher, dass du genügst.
  4. Schreib dir alle „Arsch-Engel“ der Vergangenheit und Gegenwart auf. Das sind Türen in Freiheit und Frieden. Sie halten Geschenke bereit. 
  5. Bin ich auch so? Ja, du bist es auch. Wir sind immer beides. Wir sind stark und schwach, ordentlich und nicht ordentlich, lieb und nett, haben aber auch Wut im Bauch… Alle Gefühle wollen bejahend gefühlt werden. 
  6. Wäre ich gerne auch so?
  7. An wen erinnert mich dieser Mensch? Solange wir mit den „Ur-Arsch-Engeln“ (Vater, Mutter, Geschwister) nicht in Frieden sind, schickt das Leben Stellvertreter.
  8. Nutz deine Arschengel als Türen in Frieden und Freiheit.  Fang an, ehrlich zu dir zu werden, dann haben wir Frieden in der Welt.

Ich wünsche dir, dass du aus den Menschen, die dir auf die Nerven gehen, Engel machen kannst. Ahnst du schon, welcher Gewinn das für dein Leben ist?

Aus den zauberhaften Illustrationen meines Blogs, die aus den Buntstiften von Anna Weninger stammen, habe ich heute den Lorbeer gewählt, der mich an einen Spruch erinnert: „Aus dem Kraut für Ruhm, Weisheit, Erfolg und Sieg wurden Kränze für siegreiche Krieger gewunden“. Viel Erfolg mit dem „Arsch-Engel“.

Herzlichst

Sissy

LITERATUR

Robert Betz
– Frieden mit meinen „Arsch-Engeln“

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6 Kommentare

  • Theresia RICHTER sagt:

    Sehr geehrte Frau Sonnleitner
    Sehr lange schon beschäftige ich mich mit Ihnen 1x schaffte ich es sogar Ihr wunderbares Restaurant zu betreten um ein herrlich zubereitetes Essen zu genießen !
    Heute habe ich im Kurier den Bericht über Sie & Ihr Leben entdeckt , ich bin sehr beeindruckt!!!
    Sie sind für mich der Inbegriff der starken Frau !!!
    Ich freue mich über diesen tollen Kontakt der in mir vieles auslöst , ich bin ebenso an einer Schwelle meines Lebens wo es in Richtung Veränderung geht !! Ich bin 66 Jahre alt , arbeite in der Haute Couture und mache zuvieles was mich nicht glücklich macht ! Ich bin auch so eine Suchende !! Vielleicht gelingt mir nun auch besser auf das zu sehen was mich so bedrückt … das harte vergangene Leben ? Nein das machte mich auch zu dem was ich heute bin , aber es gibt noch ein Kapitel in meinem Leben dass jetzt gefunden werden will !! Ich glaube dass es heute eine Fügung war Sie zu finden !!
    Mit lieben Grüßen
    Theresia RICHTER

    • Sissy Sonnleitner sagt:

      Liebe Theresia!

      Darf ich Du sagen?
      Danke für die lieben Zeilen – ich freu‘ mich sehr, dass Sie dich berührt haben. Für mich ist es auch sehr wichtig, von Menschen, die auch ein sehr intensives Leben gelebt haben, Bestätigung zu bekommen, dass mein mutiger, neuer Weg richtig ist und dass wir einander in unserem Denken und Fühlen bestätigen können. Wir tun einander Gutes, wenn wir neu formulieren, was für uns das Wesentliche ist. Ich denke, das was wir in unserem Alter suchen, ist letztendlich, uns selbst zu erkennen, zu uns zu stehen und lernen, dass wir nicht mehr um jeden Preis gefallen müssen, weil wir uns gefallen. Mit all unseren Facetten und allen Sonn- und Schattenseiten. Das ist freilich auch wieder ein Stück Weg, aber im zielstrebig Gehen sind wir ja sehr geübt, oder?
      Ein schönes Wochenende!
      Herzlichst
      Sissy

  • Sylvia Urbanz sagt:

    Liebe Sissy,
    ja, das mit den „Arsch-Engeln“ ist so eine Sache! Robert Betz hat schon Recht mit seinen Aussagen. Ich erkenne (ertappe mich) immer öfter, bei meinem Gegenüber – das mir vielleicht Ärger macht, oder mich verletzt – genau den (wunden) Punkt zu finden, den ich AN MIR SELBST bearbeiten muss! Und da gibt es eine Menge. Aus der Vergangenheit, sogar noch aus der Kindheit… Es ist bestimmt nicht so einfach, zu sich selbst ehrlich zu sein, sich einzugestehen, was man an sich selbst nicht mag, oder gerne haben möchte. Und es hilft mir nicht weiter, den Groll auf andere zu haben, anstatt mich mit mir selbst auseinander zu setzen. Nun, das ist alles ziemlich kompliziert, und bestimmt kein leichter Weg, aber: ich habe schon so Vieles in meinem Leben geschafft, was nicht einfach war – also werde ich auch diesen Weg bewältigen. Wir Frauen sind ja stärker als wir denken, vor allem dann, wenn wir auch zu unseren Schwächen stehen!
    Herzlichen Gruß
    Sylvia

  • Sissy Sonnleitner sagt:

    Liebe Sylvia!

    Ja, leicht ist das nicht, keine Frage. Mir gefällt der Arsch-Engel deshalb so gut, weil man mit dem Begriff schon einmal ein bisschen Dampf ablassen kann, wenn einem jemand so auf die Wunde drückt. Der zweite Blick braucht dann freilich schon Mut. Wer gesteht sich schon gerne ein, dass er/sie mit Neid, Eifersucht, der Sucht nach Anerkennung, Scham und Schuld usw. zu kämpfen hat. Und dann, finde ich, braucht es halt die Liebe zu sich selbst, diesen Gefühlen Raum zu lassen, den Schatten zu umarmen und wieder ein stückweit man selbst zu werden. Danke für Deinen Beitrag. Stärken wir einander auf dem gemeinsamen Weg, denn Liebe schafft alles. Ich wünsch‘ Dir eine gute Zeit.
    Herzlichst
    Sissy

  • Gerhild Pulferer sagt:

    Vielen Dank Frau Sonnleitner für diesen Beitrag dazu möchte ich sagen, das ich mich auch schon vor einiger Zeit mit den Beiträge von Herrn Robert Betz auseinandergesetzt habe. Ich durfte ihn such vor zwei Jahren live bei einer Messe in Klagenfurt erleben und habe ihn als wirklich authentisch erlebt. Ich danke ihnen das sie mir seine Worte , mit ihren eigenen Interprätationen, wieder in Erinnerung gerufen haben. Liebe Grüße

    • Sissy Sonnleitner sagt:

      Liebe Frau Pulferer, liebe Gerhild!
      Darf ich jetzt endlich zum Du übergehen? Ja, Robert Betz ist für mich ein exzellenter Übersetzer einer neuen Lebensform. Seinen pragmatischen Optimismus braucht unsere Zeit. Er ist sicher in der persönlichen Begegnung ein tolles Erlebnis. Danke für Deinen Beitrag!

      Herzlichst
      Sissy

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