Mutfassung

Ich bin Soroptimistin – die Schwester für das Gute – und Feministin. Ersteres muss ich  immer noch erklären, Zweiteres löst spannende Reaktionen aus.

Soroptimist international – eine weltweite Stimme von  Frauen, die weltweit größte Serviceorganisation für Frauen und Mitinitatorin der großen Kampagne „orange the world“, gegen Gewalt an Frauen.

Den Begriff „Feministin“ setze ich bewusst leicht provokant ein, und bin ganz erstaunt, welche Irritationen ich damit auslöse. „Du bist doch keine Feministin“, erklärte mir z.B. eine liebe Freundin und meinem afrikanischen Pfarrer stand das blanke Entsetzen in den Augen.

Der Duden erklärt: Feministinnen – eine Frauenbewegung, die patriarchale Strukturen in Gesellschaft und Kirche bewusst macht. Ja, ich bin Feministin.

Mutfassung

Mit meinem Gott überspringe ich Mauern – so heißt eine Kunstinstallation der katholischen Frauenbewegung zur langen Nacht der Kirchen, die noch bis 28.06.2021 im Diözesanhaus in Klagenfurt zu besichtigen ist. 

Die Künstlerin Ulrike Schwager, sie ist gleichzeitig Vorsitzende der kfb (katholische Frauenbewegung), hat sieben eindrucksvolle Figuren geschaffen: auf goldenem Sockel, dem göttlichen Fundament, stehen alte Holzbalken. Eine Goldintarsie durchzieht, wie die unzerstörbare Seele, diesen „Frauenkörper“. Bekleidet sind die Figuren mit in Zement gegossenen, orangen Frauenkleidern, die Starre und Erstarrung durch die erfahrene Gewalt symbolisieren. 

„Ins Herz graviert“ sind schmerzlich berührende Texte von Mag. Heidi Wassermann-Dullnig aus ihrem Buch „Frauenseele, Gedanken auf geraden und krummen Zeilen.“ So kann man auf Augenhöhe einen Blick ins Herz werfen, denn Gewalt ist oft von außen nicht sichtbar.

unverschickter Brief
mit jedem deiner opfer
hast du mich verwundet
mein kind sein
mein mensch sein
meine unschuld
ans kreuz genagelt
ich schrie
du hast mich nicht gehört
ich weinte
du hast mich nicht getröstet
ich flehte
du hast mich nur verhöhnt
meine seele rang mit dem tod
du hast zugeschaut
mein körper lag zerstückelt da
der kleider beraubt
nackt himmelverflucht
entwürdigt
du bliebst
würdenträger

Mag. Heidi Wassermann – Dullnig

Für jedes einzelne Opfer hoffe und bete ich, dass es Menschen gefunden hat, die es an den unverwundbaren Ort führen konnten und es so ein stückweit Frieden gefunden hat.

Mut ist der Preis der Freiheit

Ganz schön mutig, diese Frauen in der Kirche. Und ganz schön mutig unser Bischof Dr. Josef Marketz, der diesen schonungslosen Blick in die tiefen Schattenbereiche der Kirche aushält. 

Auch die Betrachter*innen brauchen Mut, sich auf die Figuren und ihre „Herzensangelegenheiten“ einzulassen. Zuerst ist man gewaltig, schmerzlichst berührt von den unzähligen Einzelschicksalen, aber auch der kollektive Schmerz, den Frauen seit Jahrhunderten immer weiter in sich tragen, wird im Durchgehen durch diese Ausstellung spürbar. 

Das Thema der Ausstellung „Mutfassung“ wurde zum Auftakt von Seelsorgeamtsdirektorin Mag. Elisabeth Schneider-Brandauer, der Vorsitzenden der katholischen Aktion Dr. Iris Straßer und von mir in sehr individuellen Aspekten betrachtet. So unterschiedlich die Persönlichkeiten dieser Führung, so unterschiedlich die Zugänge. 

Eines hatten wir alle in unserem Inhalt:

Veränderung wird aus Mut gemacht
Anna Raab, kfb

Ich bin Feministin, Soroptimistin, Trachtenfrau, Pfarrgemeinderatsobfrau

Vereinsmeierei? Wichtigtuerei? 

Es ist die tiefe Sehnsucht nach Schwesternschaft – das habe ich an diesem Abend gefühlt. 

Ich bin als Jüngste in einer vierköpfigen Schwesternschaft aufgewachsen. Das ist Heimathafen. 

„Schwesternschaft heißt Verbundenheit unter Frauen. Anteilnahme und Solidarität unter Frauen. Im Geist der Schwesternschaft besinne ich mich darauf, daß wir Frauen alle Teil einer kollektiven Geschichte sind, daß wir alle das gleiche Erbe in uns tragen – denselben Schmerzkörper kennen, dieselben Sehnsüchte, dasselbe weibliche Potential, das erblühen mag. Im Geist der Schwesternschaft erkenne ich gleichzeitig die Einzigartigkeit einer Jeden an, die besonderen Qualitäten und Gaben, die spezielle Schönheit und Strahlkraft jeder Einzelnen.

Es gibt keinen Grund zu Vergleich, Neid oder Konkurrenz. Wenn Jede in ihrer Kraft erblüht, braucht es keine Konkurrenz. Ich kann mich an der Anderen erfreuen, sie als Bereicherung oder Ergänzung sehen. Wie Blumen auf einer Blumenwiese. Jede blüht für sich und gemeinsam sind wir ein prachtvolles Blütenmeer. 

……und es entsteht das Gefühl von einem tiefen Ankommen, im Heimathafen zu sein, ein Pool, der Jede nährt und stärkt. Das Erfüllen einer Sehnsucht, die Jede in sich trägt… nach tiefer Verbundenheit…

Es ist das Ankommen in dem, was eigentlich natürlich ist, was unsere Natur ist – der Zustand, tief verbunden zu sein.“ (Aus der Rede von Mayonah A. Bliss zum Frauenkogress 2011) 

Das ist unser Auftrag:

Die Wiederherstellung

des Kraftfeldes

unter Frauen.

– Sissy Sonnleitner

Dieser Tage wurde im Zuge der Turmrenovierung des Klagenfurter Doms eine Kunstinstallation befestigt: „solange Männer glauben, Gott zu sein, bin ich Feministin.“ Es ist ein weiterer Weckruf für die Kirche, aus der „langen Nacht“ aufzuwachen. Ich habe die Initiative auf facebook „geliket“, die leise Stimme hat mir aber zugeflüstert:„Es geht nicht gegen die Männer, es geht nicht pauschal gegen die Kirche.“ 

Ich bin vielen Männern der Kirche herzlich verbunden. Sie sind mir Wegbegleiter, sie inspirieren mich, sie erheben mit ihren Worten meinen Geist und sie schärfen meinen Verstand.  

Es geht um die Wiederherstellung des Kraftfeldes unter Frauen.

Also doch keine hardcore Feministin?

Was fühlst Du bei dem Begriff „Schwesternschaft“?

Herzlichst

Sissy

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4 Kommentare

  • Regina Waldner-Groß sagt:

    Danke für die unglaublich schönen und tief reichenden Worte!
    „Die Wiederherstellung des Kraftfeldes unter Frauen“ begrüße und unterstütze ich, zur Zeit wird es leider nicht gelebt!
    Bei dem Begriff Schwesternschaft fühle ich Einigkeit, Geborgenheit, Verständnis, Gleichheit und vieles mehr…

    Liebe Grüße
    Regina

    • Sissy Sonnleitner sagt:

      Liebe Regina!
      Danke für lieben Zeilen – ja, da haben wir schon noch einen Weg zu gehen, aber
      selbst jeder Marathon beginnt mit kleinen Schritten. Und im geduldig Üben sind
      wir ja wohl schon geübt, oder? Alles Liebe Sissy

  • Luise M. Sommer sagt:

    Was ich bei dem Begriff „Schwesternschaft“ fühle? Ich könnte es nicht besser ausdrücken – ich verstehe darunter genau das, was Du beschreibst, liebe Sissy:
    „Jede blüht für sich und gemeinsam sind wir ein prachtvolles Blütenmeer.“ Was für ein wundervolles Bild!

    Ein mutiger und mutmachender Beitrag. Danke!

    • Sissy Sonnleitner sagt:

      Liebe Luise! Danke für Deinen Kommentar. Jetzt klappt’s ja mit dem Newsletter.
      …und hegen und pflegen wir weiter das schöne Blütenmeer.
      Alles Liebe
      Sissy

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