Wie wir das Mysterium der Weiblichkeit sehen können

Die Liebende, die Wissende, die Sehende nenne ich die drei Frauen, die die Säulen meiner Geschichte symbolisieren. Diesmal erzähle ich dir mehr von der Sehenden. 

„Der Mond ist rund, ich bin es auch…,“ singt Pe Werner! Die Geschichte mit den Rundungen, Röllchen und überzähligen Kilos beschäftigen viele von uns. Aber was hat das mit dem Mysterium des Weiblichen zu tun?

„Mein Bau ist alles andere als zierlich,“ heißt es weiter bei Pe Werner. Das ist die eine Seite. Die andere Erkenntnis hat sich mir nach einigen Jahrzehnten erschlossen: Aus einer kräftigen, großen Bärenmama kann keine Diät dieser Welt eine Gazelle machen. Ein schlankes Wesen, idealerweise noch schön und erfolgreich, um die untrennbaren Attribute aufzuzählen, die heute das Bild der Frau bestimmen. Ob sie es will oder nicht. Eine Bärin bleibt eine Bärin.

Zugegeben: Übergewicht bedeutet Leiden. Übergewicht ist eine Glocke, die mich darauf hinweist, dass mir meine bisherige Lebensweise nicht gut tut. Aber kann mir wirklich eine Statistik sagen, was mein Idealgewicht ist?

Auf der Suche nach einer Antwort, knipse ich die Taschenlampe an und leuchte ein paar Jahrtausende zurück.

Die kreative Lebenskraft der Erde

„Vor vielen tausenden Jahren wurde alles Weibliche geehrt und die weibliche Seite Gottes in der Gestalt der großen Göttin angebetet und verehrt,“ schreibt Clarissa Pinkola Estés in der Wolfsfrau. „Das Weibliche galt als die kreative Lebenskraft der Erde. Die natürlich gerundete, weiche Gestalt des weiblichen Körpers wurde als schön betrachtet. Die Jahreszeiten, die Mondphasen, Ebbe und Flut, der Zyklus von Leben-Tod-Leben stellten die Antworten auf die Geheimnisse des Lebens dar.

Weibliche Weisheit, die die Frau aus ihrer Verbindung zur Natur mittels des Menstruationszyklus gewann, wurde hoch geschätzt. Frauen wurden wegen ihrer Intuition und ihres Verständnisses für irdische Dinge respektiert.“

Was mir mein Übergewicht sagt

Die Zwiesprache mit meinem Übergewicht führte mich zu folgender Erkenntnis: Ich nehme mich zu wenig wichtig, ich sorge für viele, aber für mich zu wenig. Mein Gewicht gibt mir Statik, um im Hin und Her zwischen verschiedenen Aufgaben – im Betrieb, in Familie, Partnerschaft Gesellschaft – nicht die Bodenhaftung zu verlieren. Auch ein Stück trotzigen Selbst-bestimmt-Seins. Ich weiß, das tut mir nicht gut, tu’s aber trotzdem. So wurde das Essen ein scheinbar „legitimes“ Ventil, um Wut, Trauer, Enttäuschung zu unterdrücken. „Frau“ ist ja ständig „auf der Bühne“ und kann nicht einfach die Masken fallen lassen. Daher braucht mein Körper mehr Raum.

Raum zum Leben

Die Fähigkeit Raum zu bieten, zähle ich aber auch zu den größten Mysterien des Frauseins. So können wir Leben empfangen, reifen lassen, gebären, schützen und behüten. Von Natur aus, aus uns heraus.

In diesem Zusammenhang empfehle ich dir ein Buch von Linda Jarosch, das ich immer wieder in die Hand nehme, weil ich darin schon viel wertvolle Anregungen gefunden habe. „Ab morgen trage ich rot“ heißt ihr Plädoyer für Leidenschaft, Liebe, Lust, Auferstehung, Blut, Erotik, aber auch für Pfingsten und den heiligen Geist, die weibliche Kraft Gottes.

Für mich steht die Farbe Rot für das Sichtbarmachen. Ich verstehe sie als Appell, die eigene Scham ein wenig hintanzustellen, für Leidenschaft, für Lebensfreude. Ich entscheide mich für Kräfte, die meinem Leben Farbe geben und achte mich.

Dazu schreibt Linda Jarosch: „Dieses Achten gilt auch für unsere Erotik. Viele Frauen lehnen ihre erotische Seite ab, weil diese entweder durch anerzogene Moralvorstellungen verdrängt ist, oder weil sie sich innerlich gegen kommerzielle Vorbilder weiblicher Erotik wehren. Da wird Erotik mit sexueller Anziehungskraft gleichgesetzt. Doch sie ist vor allem eine sinnlich-geistige Anziehung. Wir selbst können durch Auftreten, Sprache oder Kleidung eine sinnlich erotische Ausstrahlung haben. Sie kommt aus dem Bewusstsein, gerne Frau zu sein.“ Einem Bewusstsein, das wir vor allem in der ersten Lebenshälfte als “part of the game“ leben und das uns ermutigt, sexuelle Anreize auszusenden.

Das rote Zelt

Für meine Lebensfreude und Vitalität habe ich einen besonderen Rückzugsort in mir eingerichtet. Ganz in Rot, ein Platz der fast nur mir gehört. Der heilige Ort, an dem ich meine Sexualität hüte. In meiner Welt wird dieses Mysterium nicht an die Öffentlichkeit gezerrt. Nur soviel: Es war eine Lebensaufgabe, die Kräfte von katholischen Moralvorstellungen, unserem Bedürfnis nach Spiritualität – auch in der Sexualität – und Lust und Leidenschaft in eine Balance zu bringen, um zu einem erfüllten Zusammensein zu finden.

Ich habe für mich erkannt: Auch dieses Mysterium der Weiblichkeit liegt in uns, gerne möchte es vom anderen berührt und geweckt werden. Die Beschäftigung mit dieser göttlichen Energie lohnt sich in jeder Lebensphase und die liebevollste Begleiterin auf diesem Weg ist mir Eva Maria Zurhorst und ihr Buch „Soulsex“ geworden.

Das Mysterium der Weiblichkeit im Alltag

Eine andere von mir sehr geschätzte Autorin, Joan Anderson, schreibt in ihrem Buch „Ein Jahr am Meer“: „Die Frau braucht die Einsamkeit, um ihre eigentliche Bestimmung wiederzufinden: jenen festen Faden, der das ganze Netz menschlicher Beziehung zusammenhält. Sie muss jene innere Ruhe finden, das Stillwerden der Seele innerhalb der Geschäftigkeit  des Geistes und des Körpers, damit sie ruhig sei, wie die Achse eines kreisenden Rades ruhig ist.

Ein Bild gefällig? Du verlässt das Hamsterrad und begibst dich mehr und mehr zur ruhenden Achse des Rades. Um dich herum dreht sich die Welt weiter, aber du hast einen ganz anderen Blickwinkel auf sie. Dann bist du mittendrin im Mysterium des Wandels, bei dir, an deiner Quelle.

Der Wechsel, das Klimakterium

Mit 40 Jahren habe ich die ersten grauen Haare registriert. Ein untrügliches Zeichen für die biologische Veränderung, die damals einsetzte. Ich dachte an meine Großmütter, die ich ausschließlich in schwarzer Kleidung in Erinnerung habe. Beide überlebten unsere Großväter lange, aber durch ihr Alter und den Tod des Partners verlor ihr Leben offensichtlich die Farbe. Vielleicht wollten sie auch nicht mehr sichtbar sein. Die Generation meiner Mutter assoziierte mit dem Wechsel Hitzewallungen, Schlafstörungen. Sie vermittelten mir, dass sie diese Phase eher als Verlust ihrer Weiblichkeit erlebten.

Ich hatte Glück. Das erste Buch, das ich zu diesem Thema gelesen habe, war „Feuerzeichen Frau“ von Julia Onken. Ihre Erkenntnis, dass wir im Wechsel die körperliche Mutterschaft verlassen und die geistige dazu gewinnen, hat meinen Geist unendlich gedehnt, meine Seele erregt und meinem Körper mit neuer Spannkraft versehen. Meine lädierten Knie haben sich bedauerlicherweise davon nicht beeindrucken lassen…

Zurück zum Mysterium, das der Duden als geheimnisvolles, mit dem Verstand nicht ergründbares Geschehen definiert. Welch eine Zumutung in unserer Zeit! Glauben wir doch, alles zu wissen, zu kennen, kontrollieren zu können.

Nicht müde werden
und dem Wunder
leise
wie einem Vogel
die Hand hinhalten.

– Hilde Domin

Öffne Dich, lass’ dich ein auf dieses unergründliche Geheimnis und erkenne das Wunder, das du bist und das noch in dir schlummert.

Schreibe mir, wenn dich meine Gedanken berühren oder du dich mit mir austauschen möchtest.

Herzlichst

Sissy Sonnleitner

LITERATUR

Joan Anderson, Ein Jahr am Meer: Aus dem Leben einer unvollendeten Frau

Clarissa Pinkola Estés, Die Wolfsfrau

Linda Jarosch, Ab morgen trage ich rot: Frauen entdecken ihre Freiheit

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2 Kommentare

  • Stefanie sagt:

    wow, mum, ein echt mutiger Beitrag – finde ich 🙂 Gott sei Dank hast du uns so oft von Julia Onken erzählt! da bin ich mir sicher, dass ich das nicht vergesse, wenn ich auch mal brauche. Und Joan Andersons „Jahr am Meer“ ist definitiv eines meiner Lieblingsbücher. So richtig zum Innehalten ohne zu schwer zu sein. Super! Bussi

    • Sissy Sonnleitner sagt:

      Liebe Stefanie!
      Ja, manchmal meine ich, auch über-mutig! Aber wir kennen einander, lauwarm ist uns zu wenig. Da kann man weder kochen, noch lieben.😍 Danke für Deinen Kommentar.
      Ja, innehalten, ohne zu ertrinken, das ist die Kunst im Alltag. Ich hab‘ Dich lieb! Mum

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