Muttersein

Muttertag – einer der großen Spagat-Tage in meinem Jahresablauf. Das oberste Gefühl dieses Tages ist große Dankbarkeit: für unsere Kinder, Mütter und Omas. Gleich danach folgen aber oft das Gefühl von Hektik und Zeitknappheit.

…wo Mutter drauf steht

Ich erinnere mich an einen Muttertag, an dem sich die Harmonie, die diesem Tag verordnet ist, so gar nicht einstellen wollte. Und als ich einem Ansinnen einer Tochter ein vehementes, und für sie völlig unverständliches Nein entgegenbringen musste, erklärte sie resigniert: “Ist halt auch nicht immer Mutter drin, wo Mutter drauf steht“.

Für mich wieder eine Gelegenheit, den mütterlichen Beipackzettel umzuschreiben, um nicht des Etikettenschwindels bezichtigt zu werden.

„Von Anfang an keine Enttäuschung gewesen zu sein, habe ich Zeit meines Lebens genossen.“

Aber was bedeutet Muttersein für mich?

Ich war die Jüngste von vier Mädchen. „Nur ein Mädchen.“ Diese Worte hat es von unserem Vater nicht gegeben, was in dieser Generation schon erstaunlich ist. Er hat vor meiner Geburt eine Kiste Wein gewettet, dass es wieder eine Tochter werden würde und bei der Wahl meines Namens legte er sich sogar mit dem Pfarrer an. Er wollte, dass ich auf den Namen Sissy getauft wurde, nicht Elisabeth. Also kein christlicher Name. Von Anfang an keine Enttäuschung gewesen zu sein, habe ich Zeit meines Lebens genossen.

Väter und Mütter und Söhne

Die von mir geschätzte Julia Onken schreibt dazu: „Die meisten Männer wünschen sich einen Knaben, ein Abbild der eigenen Herrlichkeit, Erbe und Stammhalter, dessen Funktion es sein wird, den Stamm zu halten, ungeachtet dessen, ob es überhaupt ein geistig oder materiell gewordenes Familiengut zu erhalten gibt. Dem väterlichen Stolz und seinen Phantasien sind keine Grenzen gesetzt. Und das ist verständlich. Wer selbst die Vorteile erfahren hat, die einem ohne nennenswerte Anstrengung, lediglich durch Zugehörigkeit zum männlichen Geschlecht zufließen, wünscht sich die Fortsetzung dieser Privilegien selbstverständlich auch für seine Nachkommen, für seinen SOHN.“

Der Schlüsselbund

Mein Mann und ich waren dankbar für jedes Kind. Und ich bin es noch. Wenn ich von unseren Kindern erzählte und gefragt wurde, ob wir nur Mädchen hätten, hab ich jedes Mal korrigiert: „Wir haben ausschließlich Mädchen.“

Schwangerschaft und Geburt holen ja mitunter das Unterste nach oben, so erinnere mich an einen ganz intensiven Moment genau. Als ich unsere vierte Tochter im Arm hielt, stand ein Gedanke ganz groß da: FRAUEN. Ich habe ihn all die Jahre in meinem Herzen bewahrt.

Jahre später hat mir André Heller mit einem wunderbaren Bild diesen Moment erklärt. Als er seinen Sohn Ferdinand das erste Mal im Arm hielt, hat ihm dieser einen dicken Schlüsselbund zugeworfen, mit dem er dann unzählige Türen seiner Persönlichkeit erkundete.

Auch für uns haben sich unzählige Türen geöffnet. Und immer noch schließen wir neue auf.

Mutter sein, ohne zu gebären

Aber auch Frauen, die keine Kinder haben wollen oder können, verfügen über mütterliche Energie und können Menschen Mütter zu sein. „Sie machen das Leben anderer Menschen chancenreicher oder freudvoller“, beschreibt es Linda Jarosch. „Sie fördern oder beschützen. Sie nähren andere in jeweils ganz unterschiedlicher, aber immer fürsorglicher Weise. Viele bewahren auch die Natur, um das Leben auf der Welt zu erhalten. Frauen können in jedem Fall seelische Kräfte, neue Verhaltensweisen, belebende Ideen oder neu gewonnene Kreativität aus sich hervorbringen. Dies alles macht sie lebendig und will auf vielerlei Art durch sie geboren und angenommen werden. Durch all das spenden sich sich selbst Leben und geben es an andere weiter.“

Geistige Mutterschaft

Ich persönlich habe diese geistige Mutterschaft im Wechsel als wertvollen Juwel entdeckt. Er hat meine Grundstimmung seit damals grundlegend beeinflusst. Ein, Juwel, den Julia Onken, wie ich meine, in ihren Büchern und Gedanken poliert und in die Auslage gestellt hat. Er hat meine Grundstimmung im Wechsel grundlegend beeinflusst. Insofern teile ich Onkens Erfahrung, die sie folgend beschreibt: „Mit der Erkenntnis, dass ich die geistige Mutterschaft auch für mich übernehmen kann, öffnete sich mir eine unbeschreibliche Weite und ich kam mir vor, wie wenn ich bis dahin in einem Kellergeschoss gewohnt hätte, in der Annahme, dass dies die einzige Wohnmöglichkeit sei, und nun entdeckte ich, dass sich über dieser Wohnung noch weitere Stockwerke befanden. Heiter, hell, lichthaft.“

Das Wort Wechsel beschreibt es ganz gut, scheint mir. Denn tatsächlich wechseln wir die Ebene. Von der körperlichen Orientierung und Verhaftung werden wir freigegeben in den weiten Bereich des Geistigen, des Schöpferischen und der vielen Bereiche, die wir auch in späteren Jahren noch gestalten können.

Oder, um ein anderes Bild zu verwenden: Wir werden aus der körperlichen Verkettung entlassen, um unsere Energie in die innere Entwicklung einfließen zu lassen. Wer sich darauf einlässt und die unvergleichlich größere und weitere Freiheit erlebt, kann unmöglich auch nur einen Moment über etwas angeblich Verlorenes trauern.

Mütter

Ich kenn’ mich nicht aus,
klagt der Bruder der Liese!
Sie spielen im Gras
auf der blumigen Wiese-
die Mami kann doch nicht
die Unwahrheit sagen,
doch sieht es so aus.
Drum will ich Dich fragen:
„Bist mein Liebstes auf Erden,
für Dich ganz allein
will ich leben und sterben!“
Das sagt sie zu mir
und zu Dir und den Kleinen,
sie flüstert’s ins Ohr,
sagt es ganz im Geheimen.
Da stimmt doch was nicht!
Wir sind doch vier Kinder,
die älteren Drei
und das Kleinste nicht minder.
Das lass’ ich mir nicht
auf die Dauer gefallen!
Sie meint doch nur mich,
und doch sagt sie es allen!

– Mary Möbius Mauthen

Ich freue mich, wenn du deine eigenen Gedanken mit mir teilst! Entweder im Kommentarfeld am Ende dieser Seite oder an info@liebeschafftalles.at

Herzlichst
Sissy Sonnleitner

LITERATUR-TIPP

Julia Onken, Herrin im eigenen Haus

Linda Jarosch, Ab morgen trage ich rot: Frauen entdecken ihre Freiheit

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4 Kommentare

  • Stefanie sagt:

    was für liebevolle Texte … da muss ich mir immer wieder Zeit nehmen zum Lesen sonst könnte ich zu gerührt werden 🙂
    bussi, stef

  • Ingrid Musel sagt:

    Liebe Sissy, tausend Dank für deine wundervollen Worte,welche meine Seele und meinen Geist zu tiefst berühren. Du hast so eine fantastische, bewundernswerte Ausdrucksweise. Ich danke dir, dass du diese wichtige Aufgabe übernimmst um Frauen in ihre Kraft zu begleiten. Das ist ein ganz wichtiger Beitrag und ich denke, dass die Zeit
    reif dafür ist.!! Danke, dass es dich gibt. Bussi ingrid 🤗💕

    • Sissy Sonnleitner sagt:

      Liebe Ingrid!

      Danke für Deine lieben Zeilen – schön, dass wir auch da wieder verbunden weiter gehen können. All‘ unsere gemeinsamen Frauen klopfen uns anerkennend auf die Schulter! Alles Liebe Sissy

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